Einatmen, Ausatmen, Abdrücken

Einatmen, ausatmen. Mein Zeigefinger nähert sich dem Abzug. Ich spüre das kühle Gewehr an meiner Wange, fokussiere den kleinen schwarzen Punkt in zehn Metern Entfernung. Locker bleiben, den Blick halten. Einatmen, ausatmen. „Trauen Sie sich?“, fragt Bettina Hellmich. Dann bricht der Schuss.

LZ Redakteurin Alexandra Schaller informiert sich über die neue digitale Schießanlage der Schützengesellschaft und probiert es gleich selbst einmal, mit Erfolg!

Ein Freitagnachmittag im Schützenhaus der Schötmaraner Schützengesellschaft. Bettina Hellmich, 38, Sportleiterin, ist seit 2013 Mitglied – genauso wie ihr Mann und eines ihrer drei Kinder. Heute will sie den neuen Schießstand präsentieren. Und sie hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesteckt: Sie will mir ihr Hobby schmackhaft machen. Ob ihr das gelingt? Ich habe da noch so meine Zweifel. Vom Schießsport habe ich überhaupt keine Ahnung, ein Gewehr das erste und einzige Mal zum Dorffest im Teenageralter in der Hand gehalten. Und damals hat es gerade mal für einen Trostpreis gereicht…

Im Schützenhaus riecht es nach Farbe, die letzten Renovierungsarbeiten laufen. Wie berichtet ist hier zuletzt die alte Seilzuganlage einer komplett digitalen Schießanlage gewichen, mehr als 40.000 Euro hat die gekostet. „Wir wollten eine moderne Schießsportanlage werden “, sagt Hellmich. Die Investition habe sich gelohnt. „Wir können jetzt viel zielgerichteter trainieren.“

Während die Kleinsten hier ab Grundschulalter an der „RedDot“-Anlage noch ohne scharfe Munition starten, geht es ab zwölf Jahren mit dem Luftgewehr los. Damit fangen wir ebenfalls an. Das Gewehr hat ordentlich Gewicht, vorsichtig setze ich es auf die Auflage, die Hellmich an meine Körpergröße angepasst hat. „Sie müssen sich wohl fühlen und bequem stehen“, sagt sie und beobachtet, wie ich noch etwas ratlos den optimalen Stand suche. „Füße schulterbreit – das bringt Stabilität“, sagt sie.

Genauso wie möglichst flache Schuhe, den Tipp hatte sie mir schon im Vorfeld gegeben. Später werde ich mich noch in eine Schießjacke zwängen. Die ist eng und schwer, gibt dem Oberkörper damit aber reichlich Stabilität.

Das Luftgewehr hat Bettina Hellmich eben aus der Waffenkammer geholt. Hier lagert das gesamte Equipment der Schützen – Jacken, Handschuhe, Gewehre, Pistolen und Munition. Alles ist hinter zig abgeschlossenen Türen und in Tresoren gesichert, zu denen man teilweise nur mit Fingerabdruck und Zahlencode Zugang bekommt. Sicherheit ist hier das A und O.

Genauso wie an der Waffe selbst. Erst am Schießstand wird das Luftgewehr schussbereit gemacht. Bettina Hellmich entfernt die Schießschnur aus dem Lauf und dreht die Kartusche, die für den nötigen Druck sorgt, fest. Erst jetzt wird geladen. Bettina Hellmich platziert ein kleines Diabolo – ein winziges Projektil – im Lauf. „Es ist klein, kann aber ganz schön weh tun, wenn man getroffen wird“, sagt sie. Ernsthafte Verletzungen seien nicht ausgeschlossen, Disziplin am Schießstand wird daher schon mit den Jüngsten trainiert. Man dürfe im Umgang mit Waffen niemals nachlässig sein.

Ich peile das Ziel durch das Gewehr an, zögere noch einen Moment – und drücke ab. Eine 7,3. Es folgen eine 7,1 und eine 8,3. „Ihr Schussbild ist phänomenal“, lobt Bettina Hellmich. Kaum Streuung, sehr gleichmäßig – das seien beste Voraussetzungen. Die Krux beim Schießen sei schließlich, konstant zu treffen. Jetzt packt mich der Ehrgeiz. Hilfesuchend blicke ich zu meiner Lehrerin. Ob sie noch ein paar Tipps für mich hat?

Die hat sie, und das nicht zu knapp. Sie justiert die Waffe auf der Auflage ein wenig nach links. Etwas mehr Druck auf die linke Hand, die auf dem Lauf ruht, das gibt Stabilität. Den Abzug nicht zu früh loslassen, um die Waffe nicht zu verreißen. Den Fuß etwas nach außen drehen. Mit der Fingerspitze und viel Gefühl den Abzug drücken – am besten beim Ausatmen. Ein gutes Gefühl haben. Ich versuche an alles zu denken. Und drücke ab. „Wow. Habe ich die Zehn getroffen?“ Ich kann es erst gar nicht glauben, als es auf dem Tablet neongrün leuchtet. Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.

Es sind solche Erfolgserlebnisse, die einen dranbleiben lassen. Bettina Hellmich kennt das Gefühl, schießt selbst am liebsten Luftgewehr und Kleinkaliber. Und das Schießen ist eben doch Sport, betont sie. „Sehen Sie mal 45 Minuten auf einer Stelle“, sagt sie. Beinmuskulatur, Rücken, Arme, Schultern – alles werde trainiert. Und: Es sei Ausgleich zum Alltag. „Man ruht in sich, fokussiert sich nur auf sich selbst. Hier gehen nach dem Training alle entspannt nach Hause“, sagt Hellmich und lacht.

Nach Hause will ich allerdings noch lange nicht. Hellmich hat es tatsächlich schon jetzt geschafft, mich zu begeistern. Ich möchte unbedingt noch eine weitere Disziplin ausprobieren und wir wandern zum Kleinkaliber-Schießstand. Neue Waffe, neues Glück. Vom Prinzip ist vieles ähnlich – und doch ganz anders. Das Gewehr ist schwerer, liegt mir nicht ganz so gut in der Hand. „Ein Luftgewehr ist deutlich filigraner“, sagt Bettina Hellmich. Zudem ist die Munition jetzt größer, der Schuss lauter und der Rückstoß etwas heftiger. Dazu die Distanz – von 10 auf jetzt 50 Meter ist doch ein Unterschied. Ich komme mir ein wenig vor wie beim Sehtest, als ich versuche, den kleinen schwarzen Punkt zu fokussieren. „Ab und zu mal woanders hinsehen und die Augen schließen, das hilft, sie zu entspannen“, rät meine Trainerin.

Wir probieren ein bisschen herum und nach ein paar Ausreißern finde ich dann endlich zu meiner alten – oder besser gesagt neu entdeckten– Form: Die 8er und 9er fallen. „Auf 50 Meter so kurz hintereinander so konstant zu treffen, das ist super“, freut sich Hellmich mit mir. „Noch ein bisschen üben und ich nehme Sie mit zur Meisterschaft“, sagt sie und lacht.

Luftgewehr, Kleinkaliber und Luftpistole, das gab es alles schon vor dem Umbau des Schießstandes – nun sind mit der Sport- und der freien Pistole noch zwei neue Disziplinen dazugekommen. Ich will mich zum Abschluss auch noch an der Luftpistole versuchen. Freihand zu schießen ist ein völlig anderes Gefühl, jetzt hilft mir keine Auflage, die Waffe ruhig zu halten. Im 90-Grad-Winkel stehe ich zum Schießstand, linke Hand in die Hosentasche. „Kimme und Korn müssen eine Ebene ergeben“, sagt Hellmich. Dann den schwarzen Punkt anpeilen. Bei den ersten Versuchen streikt die Waffe. Mein Arm wird schwer, ich merke, wie ich hin- und herwackele. „Man baut dabei schnell Armmuskulatur auf“, sagt Bettina Hellmich und grinst.

„Das wird nichts“, denke ich an mein Anfängerglück am Luftgewehr und atme nochmal tief durch. Ein letzter Versuch. Einatmen, ausatmen. Ich drücke den Abzug. Das Tablet zeigt 9,7.

INFO:

Für 131.000 Euro hat die Schützengesellschaft Schötmar von 1732 über ein Jahr ihren Schießstand von 1959 runderneuert. Fast 90.000 Euro kamen dafür aus dem Förderprogramm „Moderne Sportstätten“ des Landes.

220 Mitglieder hat der Verein aktuell. Trainiert wird im Schützenhaus an der Eduard-Wolff-Straße. Freitags sind von 17 bis 19 Uhr die Jüngeren im Alter von bis zu 20 Jahren dran. Die Erwachsenen Sportschützen trainieren Dienstag von 19 bis 20 sowie Freitag von 20 bis 21.30 Uhr. Wer Interesse hat, kann jederzeit vorbeikommen.

BILDER  & BERICHT | ALEXANDRA SCHALLER LZ